Der Umgang mit Krebs

Gastbeitrag Susanne Reinker
Der Umgang mit Krebs

Abtauchen, Nerven Sägen, Totschweigen: Wie Nicht-Krebse auf unsereins reagieren

Auszug aus „Kopf hoch, Brust raus!“ Was wir im Umgang mit Krebs alles richtig machen können. Autorin: Susanne Reinker. © Ullstein, Berlin 2019

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Die Diagnose unterteilt unser Leben mit einem Mal in ein seliges Davor und ein unseliges Danach. Als wäre das nicht schon einschneidend genug, unterteilt sie obendrein sämtliche Menschen um uns herum in „können damit umgehen“ und „können nicht damit umgehen“. Das passiert zwar nicht auf einen Schlag, kann aber einer sein. Und zwar womöglich  ein ziemlich heftiger. Denn man lernt alle Anderen – Verwandte, Freunde, Nachbarn, Kollegen, sonstige Bekannte – quasi nochmal neu kennen.

Der Umgang mit Krebs
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An dieser Stelle bitte ein Tusch für all diejenigen, die sich von der Aura des bösen K nicht einschüchtern lassen. Die uns zugewandt bleiben, Fragen stellen, Ruhe ausstrahlen, pragmatisch schauen, wenn gerade besondere Not am Mann oder an der Frau ist und uns auch dann noch beistehen, wenn die „Ach-wie-schrecklich“-Rufer schon zur nächsten menschlichen Tragödie weitergezogen sind.

Trotzdem muss ausnahmslos jeder von uns sich früher oder später (meistens schon früher) der traurigen Tatsache stellen, dass ein gar nicht mal so kleiner Prozentsatz der Menschen um uns herum der „Kann-nicht-damit-umgehen“-Fraktion angehört.  Hier ihre verbreitetsten Vertreter.

Die Nervensägen

Sie meinen es nur gut mit uns. Aber sie kriegen’s einfach nicht gebacken. Vor lauter Unsicherheit plappern sie sich und uns in Grund und Boden mit ihren  trostlosen Trostversuchen („Du Ärmste!“, „Wie schrecklich!“, „Wie hälst du das nur aus?“) und  Durchhalteparolen („Du musst positiv denken!“, „Das wird schon wieder!“, „Du musst jetzt kämpfen!“).

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Die Totschweiger

Die Nervensägen reden viel, gerne auch zu viel – aber immerhin reden sie mit uns. Was man von den Totschweigern nicht sagen kann. Die sind überdurchschnittlich oft in Intellektuellenkreisen  anzutreffen. Dort gehört es quasi zum Benimmstandard, auch schwierigste Themen „offen und unverkrampft“  zu behandeln. Klingt gut. Führt aber de facto oft zum Totalausfall des Sprachzentrums, ausgelöst durch einen unüberwindbaren Abgrund zwischen Wollen und Können. Die Totschweiger wollen uns ja beistehen. Aber gleichzeitig wissen sie nicht, ob wir „darüber“ reden wollen oder nicht (Hand aufs Herz: Ein paar von uns wollen auch wirklich nicht drüber reden, was ein Teil des grundsätzlichen K-Problems ist). Und sie haben Angst, durch unbedachte Äußerungen womöglich in der Nervensägenfraktion zu landen. Also sagen sie lieber gar nichts.

Die Abtaucher

Mit Abstand die übelste Kategorie unter den Neuentdeckungen in unserem Leben „danach“. So übel, dass unsereinem glatt der stimmungsrettende Sarkasmus vergeht und nackter Fassungslosigkeit weicht, wenn sich mal wieder jemand klammheimlich verdrückt, den wir eigentlich zu unseren besten FreundInnen gezählt hatten. Mit solchen plötzlichen Totalverlusten wird nämlich ausnahmslos jeder von uns konfrontiert. Kein Veteran, der nicht mindestens einen Abtaucher zu beklagen hätte. Einen Menschen, der „vorher“ nett, zugewandt, aufmerksam, zuverlässig, vertraut schien –  aber seit der Diagnose von der Bildfläche verschwunden ist. Entweder nach und nach oder Knall auf Fall. Das Herz vielleicht sogar voller Mitgefühl, aber auf alle Fälle die Hosen voll. Obwohl das in unserer Situation weitaus näher liegt als in ihrer.

Na toll, Gesellschaft, du hast echt noch viel zu lernen

Solange muss unsereins sich halt damit trösten, dass Krebs ein sehr effizienter Freundschaftstest ist. Manche „Freunde“ müssen im Laufe des Parcours als Totalverlust abgeschrieben werden. Das ist extrem bitter. Dafür kommen – und das ist eine wirklich schöne, tröstende Erkenntnis – immer neue dazu. Veteranen, Mitpatienten, entfernte Bekannte mit einschlägigen Erfahrungen und/oder frei von Berührungsängsten, die uns auf einmal ganz nah sind. Zusammen mit all den unerschrockenen, pragmatischen, hilfsbereiten Menschen in unserem Umfeld helfen uns die „Neuen“, diese Krankheit zu überstehen.

Vita

Susanne Reinker
Susanne Reinker

Als ich 2007 die Diagnose Brustkrebs bekam, wünschte ich mir dringend eine Art „Krebs-für-Anfänger“-Handbuch. Klare Ansagen, die mir aus dem  Diagnoseschock heraus und durch den ewig langen Behandlungsparcours von Chemo bis Nachwirkungsblues hindurch helfen, so nach dem Motto: Was sollte ich tun – und was darf ich getrost lassen?  

So ein Buch fand ich damals nicht!

Also habe ich es 2019 selbst geschrieben, schließlich bin ich Autorin. Es ist  ein Buch für ALLE Krebsneulinge geworden, egal an welcher Körperstelle es sie erwischt hat. Darin kommen 36 Themen zur Sprache, die uns alle betreffen, vom Umgang mit Rat- und Rückschlägen über finanzielle Schieflagen und Beziehungskrisen bis Wohl und Wehe von Prognosen und Zweitmeinungen.  Und weil ich weiß, dass einige von uns  vor einem ganzen dicken Buch über den bösen K unwillkürlich zurückschrecken, habe ich es als leicht verdauliches Lesebuch aufgebaut, in dem man sich  einzelne Inhalte je nach Tagesform gezielt rauspicken kann.   Und das gilt nicht nur für uns, sondern auch für unsere Lieben: Die finden jede Menge Tipps und Gedankenanstöße zu der Frage, womit sie uns helfen können. Und womit nicht.

28 Antworten auf „Der Umgang mit Krebs“

  1. Schwieriges Thema!
    Ich würde hier jedem seinen Umgang zugestehen, denn welcher Weg der Richtige ist, kann niemand beurteilen. Das zu verarbeiten ist eine Lebensaufgabe und diese kann einen leider überleben.

  2. Ein schwieriges Thema, mit dem wir lieber nicht konfrontiert werden wollen. Aber ohne jetzt irgendwelche Zahlen zu kennen, ist die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken, wohl ungleich höher als die Wahrscheinlichkeit, im Lotto zu gewinnen. Daher sollte man sich damit befassen. Eine gute Freundin ist im letzten Jahr an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt und gestorben. Als Krankenschwester wusste sie, dass sie keine Chance hatte und hat jede Chemotherapie abgelehnt. Sie wollte reden und auch ihre Wünsche äußern. Aber bei manchen Kranken ist das nicht klar. Ich denke, ich werde mir das Buch von Susanne Reinker kaufen, ganz einfach um gewappnet zu sein. Danke für diesen Beitrag, liebe Annette.

  3. Ich denke so ein Buch hat gefehlt und ist super wichtig! Ich wüsste auch nicht recht, wie ich im Umgang mit anderen Menschen damit umgehen würde, wenn ich selber oder jemand in meinem Bekanntenkreis die Diagnose bekommt. Wahrscheinlich wäre ich etwas der Totschweiger. Toll, dass du das Buch vorgestellt hast!

  4. Das Thema Krebs ist oftmals näher als man denkt und als Außenstehende*r weiß man oft nicht, wie man sich verhalten soll. Ich gehöre glaub schon der Fraktion Nervensägen an, doch ab und an wird man unweigerlich der Fraktion Todschweiger zugeordnet, da man nicht weis, wie man dem Anderen helfen und beistehen kann und ob der/die Betroffene überhaupt darüber reden möchte. Toll, dass es jetzt ein Buch zu diesem schweren Thema gibt, ich denke das hilft beiden Seiten. Den anderen in den Arm nehmen hilft sicher auch.

    Wahre Freunde zeigen sich auf jeden Fall in dieser Zeit, andere braucht man da auch nicht.

    LG Manja

  5. Ich denke, jeder Mensch geht anders mit solchen Situationen um. Es ist bestimmt hart, FreundInnen auf diese Art zu verlieren, aber ich denke nicht, dass man jemandem einen Vorwurf daraus machen kann. Den meisten wenigstens, natürlich gibt es auch Menschen, denen das einfach “zu viel” ist, und die lieber eine Friede-Freude-Eierkuchen-Freundschaft hätten.

  6. Sehr sehr schwer damit umzugehen, finde die Hilfe eines Buches kommt gerade in heutiger Zeit gerade recht. Die Krankheit ist ja in aller Munde, aber so wirklich richtig umgehen damit, tun sicherlich die Wenigsten. Aber umso mehr wieder solche Blogbeiträge online zu haben, die einen daran erinnern. LG, Cindy

  7. Huhu,

    gerade in der heutigen Zeit wo das Thema Krebs ständig auftaucht finde ich den Beitrag unheimlich wichtig und auch das man versucht damit umzugehen. Jeder muss aber für sich selber den richtigen Weg finden… Ich glaube das ist nicht einfach, aber notwendig.

    LG
    Steffi

  8. Krebs ist ein schwieriges Thema für beide Seiten.
    Als ich gerade die Einteilungen gelesen habe, musste ich ,selber an Krebs erkrankt, ein wenig lachen, denn sie ist so stimmig.
    Es ist so wichtig auf beiden Seiten Verständnis für einander zu haben, denn wir wissen nicht, welche Prägungen den anderen zu seinem Verhalten bewegen.
    Ich weiß zur Zeit, wie ich als Krebspatientin bin , aber dadurch immer noch nicht, wie ich plötzlich als Außenstehende reagieren würde.
    In diesen schweren Momenten lernen wir plötzlich selber einen neuen Teil von uns kennen.
    Schön, dass es dazu jetzt ein Buch gibt.
    Ich hoffe es regt zum Nachdenken anstatt zum Verurteilen an.

  9. Interessantes Thema und genau die “Abtaucher” kenne ich aus eigener Erfahrung. Mit 15 hatte ich einen gutartigen Tumor im Kopf, der komplett entfernt werden konnte. Ich hatte zwei Freundin aus dem “Vorher”, die – auch als ich wieder gesund war – nicht mehr so eng mit mit befreundet sein konnten. Das Buch klingt mega interessant und würde ich ich mir definitiv auch mal durchlesen.

  10. Schwierige Situation auf jeden Fall. Ich habe immer meinen Mut und Motivation zusammengefasst und den betroffenen Personen auf meine Art Gesellschaft geleistet und Unterstützung gegeben. Ob das richtig war, weiß ich nicht. Jedenfalls war ich da.
    alles liebe angelique

  11. Ein unterhaltsamer Beitrag, der vielen Menschen die Augen öffnen kann. Ich arbeite seit einigen Jahren in der Onkologie. Das Begleiten der Patienten von der Diagnose bis zum Sterben gehört dazu. Aber dennoch. Wie soll man damit umgehen? Ich kann nur sagen, dass ich für mich kein Musterrezept gefunden habe. Ich höre immer wieder in mich rein und versuche die für den jeweiligen Patienten und die dazugehörigen Angehörigen die “richtige” Verhaltensweise zu wählen. Wichtig ist hierfür, den Patienten zu beobachten und zu erspüren, was der Patient gerade braucht. Hiermit bin ich bisher sehr gut gefahren. 🙂

  12. Sehr schwieriges Thema und der Beitrag macht neugierig auf das Buch. Du beschreibst die unterschiedlichen Arten, wie die Umwelt der Betroffenen damit umgeht, sehr gut. Allerdings ist es auch wirklich nicht nur für die Betroffenen schwierig, sondern auch für die Leute drumherum. Ich jedenfalls tue mich auch schwer zu entscheiden, wie ich wann am besten reagiere, wenn jemand in meinem Umfeld diese Scheißkrankheit bekommt.
    LG Renate von http://www.trippics.de

  13. Ich finde das Thema nicht schwierig, warum auch.
    Schwierig, machen es die Medien oder die Diagnosen/steller.
    Den Beitrag finde ich sehr gut nachvollziehbar. Ich glaube es braucht viel mehr solcher Beiträge.
    Alles Gute!
    Karin

  14. Ein Thema, wovon ich bzw. alle Menschen um mich rum, bisher zum Glück verschont blieben. Krebs war bisher bei niemanden Thema und wird es auch hoffentlich nicht. Wie ich damit umgehen würde, weiß ich nicht aber zu den drei aufgezählten Gruppen zähle ich mich einfach mal nicht!

    Liebe Grüße
    Jana

  15. Ein schwieriges und sehr wichtiges Thema. Ich war in meinem Leben schon öfter mit dem Thema Krebs konfrontiert. Sowohl ich selbst als auch Angehörige. Ein solches Buch kann da sicherlich eine große Hilfe sein.

    lg
    Verena

  16. Hallo Anette, ein sehr wichtiges Thema dessen du dich annimmst, vielen Dank. Ich habe gerade von Noah Gordon Der Medicus gelesen zu dessen Lebzeiten Krebs noch unheilbar war, die Menschen starben ohne das geholfen werden konnte. Leider beschreibt der Roman nicht wie Familie Familie und Freunde und Bekannte auf die Kranken reagierten Ich denke, diese Diagnose ist eine Herausforderung für jeden der mit ihr konfrontiert wird und für die Angehörigen. Den Kopf in den Sand stecken hilft nicht. Sie wohl interessanteste Antwort eines Bekannten auf die Aussage einer Krebs -Betroffenen die ich je gehört habe war
    “Ja na und, dann hast du doch noch zehn Jahre zu leben.” Er selber war schwer betroffen von Krebs und ging seiner Passion als Leistungssportler und Trainer vehement nach – und ich glaube, er tut es noch heute.
    liebe Grüße
    Bettina

  17. Liebe Annette,
    schön, dass du auf deiner Website solche Themen aufgreifst. Finde das Thema Krebs sehr wichtig, da ich in unmittelbarer Nähe damit konfrontiert wurde. Viel zu früh und viel zu oft.
    Ich glaube, deshalb habe ich da eine andere Sichtweise, als Menschen, die erst später damit konfrontiert werden.

  18. Das Buch ist klasse. Die richtigen Worte zu treffen – unglaublich schwer. Man weiß nicht, was man sagen soll, wie man damit umgehen soll. Schwafelt irgendeinen Käse, der garnicht weiterhilft und eher runterzieht. Das Buch würde ich gerne lesen. Danke für die Anregung.

    Lieben Gruß, Bea.

  19. Ja der Spruch “In schlechten Zeiten erkennst du wahre Freunde” hat da schon immer die volle Punktzahl erhalten. Ich finde es arm, das sage ich auch gerade raus hinaus. Jeder kann in diese Situation kommen und allein deswegen sollte man sich nicht so benehmen… Ja die Gesellschaft kann noch sehr viel lernen!

    Viele Grüße Eileen von http://www.eileens-good-vibes.de

  20. Huhu,

    ein schweres Thema, daher sehr wichtig das es thematisiert wird. Das liebe ich an deinem Blog, du hast vor nichts Angst, du schreibst einfach drauf los.

    Der Umgang mit Krebs ist sicher nicht einfach, daher gut das auch Lektüre gibt.

    LG
    Steffchen

  21. Ach je, das ist eine fürchterliche Krankheit und in meiner Familie leider auch nicht selten. Ich musste bei der Auflistung direkt an meinen Stiefvater denken. Dieser ist vor 6 Jahren im Alter von gerade mal 46 dem Krebs erlegen. Bis zum Schluss hat er immer gesagt, dass es schon wird und dass er bald wieder arbeiten kann. Zwei Wochen vor seinem Tod wollte ich ihm etwas helfen, weil er ganz zittrig von den vielen OPs und chemos war. Dann hat er mich angeschrien, dass er die Hilfe nicht braucht, er sei ja nicht totkrank. Es war wirklich eine harte Zeit für uns alle.
    Viele Grüße
    Wioleta

  22. Der Beitrag ist wirklich sehr inspirierend. Ich habe aktuell eine Freundin im Freundeskreis, die Brustkrebs hat. Die „Freunde“ die einfach abtauchen. Finde ich einfach Mega schlimm

  23. Krebs ist leider ein sehr heißes Thema, wo noch viel Aufklärung nötig ist. Wir waren innerhalb der Familie auch schon betroffen und ich habe in einem Fall Hautnah miterlebt, wie schwierig es auch ist wichtige Informationen zu erhalten. Wir mussten uns alles mühselig zusammen suchen. Da wäre so ein Buch auf jeden Fall schon mal ein guter Anhaltspunkt gewesen. Auch wenn es nicht vermeidbar ist, wenn einige andere Menschen sich plötzlich abwenden.

    Liebe Grüße,
    Mo

  24. Das ist ein richtig spannendes Thema und ich freue mich, diesen Gastbeitrag, bzw einen Auszug aus dem Buch, zu lesen. Ich habe selbst eine Weile für einen Verein gearbeitet, der sich um krebskranke Kinder kümmert – das war wirklich herzergreifend und sehr emotional. Alleine aus meiner kurzen Zeit dort sind inzwischen vier Kinder tot.

  25. Krebs ist ein nicht so einfaches Thema. Letztes Jahr ist das Pflegekind meiner Mutter mit 4 Jahren an Krebs erkrankt. Er ist auf einem guten Weg, hat die OP gut überstanden und auch die Chemo. Aber seitdem hat sich einiges bei uns am Leben und der Denkweise verändert.

    Liebe Grüße
    Steffi

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